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Die Spätberufenen

Oder: Man ist nie zu alt um noch mit dem Enduro-Sport zu beginnen!

Es gibt Dinge im Leben eines Motorradfahrers, die muss er einfach tun, auch wenn sie keiner versteht: die Freunde und Bekannten nicht, die Ehefrauen und Freundinnen erst recht nicht, und er selbst eigentlich auch nicht.

So war es, als vor 20 Jahren  unsere kleine Gruppe begeisterter „BMW-Fahrer“, gemeinhin auch „Kuh-Treiber“ genannt, und gerade auf R 80 G/S umgestiegen,  zu der Überzeugung kam, dass zum erfüllten Leben eines Mannes neben Sohn, Haus und Baum auch mindestens eine Chaberton-Besteigung mit dem Motorrad gehört.

Die unsachlichen Einwände der Ehefrauen etc. wegen unserer nicht vorhandenen Fahrpraxis im Gelände konnten uns ebenso wenig abhalten wie die Skepsis  von sogenannten Enduro-Spezialisten bezüglich der Eignung unseres Gerätes. Schließlich hielten wir uns für begnadete Biker, und hatte BMW nicht gerade wieder die Dakar gewonnen?

Solchermaßen völlig unvorbelastet und frei von Selbstzweifeln schritten wir zur Tat. Dass wir einige Tage später tatsächlich auf dem Gipfel des Chaberton standen, grenzt für uns heute noch an ein Wunder. Wahrscheinlich war es der schreckliche Gedanke, nach der Rückkehr allen Zweiflern und Besserwissern  Recht geben zu müssen, der uns trotz unzähliger Stürze, blauer Flecken, zerschlagener Ölwannen und völliger Erschöpfung die schweren Kisten bis ganz nach oben wuchten ließ. Unser Stolz war danach natürlich grenzenlos und mit jeder Erzählung wurden unsere Taten besser, die Auffahrten steiler, die Stürze weniger und überhaupt: Wer ist schon Auriol?

Nach einigen Tagen waren wir dann wieder auf dem Teppich und beschlossen jedes Jahr etwas in der Art zu machen. Gleichzeitig begann sich eine Überzeugung in unseren Köpfen festzusetzen: Wenn man schon solchen Blödsinn machen  muss, dann aber gleich mit einer schweren  BMW!

In den nächsten Jahren verbrachten wir im Sommer  immer eine Woche auf irgendwelchen Schotterpfaden, bis uns 1996  jemand vorschlug, wir sollten das Endurofahren doch endlich mal richtig lernen! In Hechlingen  gab ( und gibt es noch heute ) von BMW ein Wochenend-Training auf einem Areal in einer ehemaligen Kiesgrube. Das Gelände ist riesengroß und der Kurs, damals von Richard Schalber durchgeführt, war die reine Freude.   Für uns.

Nicht jedoch für die Ehefrauen, denn Schalber hatte einen Video-Film vom „Transdanubia-Ride“ gezeigt. Eine Art Motorrad-Rallye für Hobby-Endurofahrer. Der Entschluss kam schnell und einstimmig: Das probieren wir.

Der große Vorteil dieser Veranstaltung besteht darin, dass man mit jeder Art von Enduro, auch mit dicken BMWs die Strecken bewältigen kann, nicht so schnell wie mit einer Sport-Enduro, aber es geht. Und sollten einmal die Kräfte schwinden, kann man auch einen Teil der Route auslassen! Das gibt zwar hohe Strafzeiten, aber man bleibt in der Wertung. Die Anerkennung der anderen Teilnehmer, auch gerade von Seiten der Einzylinder-Fahrer, ist einem dabei ebenfalls sicher.

Drei mal haben wir inzwischen an der Transdanubia teilgenommen, und es war jedes Mal ein Erlebnis.

Dann erhielten wir neue Post von der Schalber Event GmbH aus Hindelang. Richard Schalber hatte eine neue Idee gehabt. „Alto Turia Ride 2002“ hieß die Idee, in Spanien in der Region Valencia sollte sie stattfinden und eine schöne Steigerung zur Transdanubia sollte sie sein.   Schrieb er.

Das müssen wir doch versuchen, sagten wir uns. Was uns die Ehefrauen sagten, sagen wir lieber nicht.

Und bevor vielleicht Zweifel aufkommen konnten, ob wir uns damit nicht doch übernehmen würden, meldeten wir uns an. Toni, Steffe und Wolfram, die alten Haudegen, dazu Lothar, der Gelegenheitsfahrer und Kai als Neuling, alle auf dicken BMWs sowie die „Abtrünnigen“ Hermann, Sepp und Herbert auf lächerlichen „Schnäpperlen“, wie etwa einer KTM 520 oder Yamaha WR 400.

Unqualifizierte Bemerkungen aus dem Freundeskreis, wie etwa: „ Wir haben einen Team-Namen für euch! Oldie-Tours! Die Organisation für altengerechtes Motorradfahren!“ einfach ignorierend, standen wir also am Samstag pünktlich in Valencia bei der technischen Abnahme. Immer auf der Suche nach einem Ausdruck von Mitleid auf den Gesichtern der Techniker bei der Abnahme unserer BMWs. Aber da war nichts. Beruhigend!

Die erste Sonderprüfung noch am selben Abend am Strand von Valencia, fünf Runden auf einer nur 1,5 km langen Rundstrecke im Sand, erschien uns auch nicht sehr beunruhigend. Aber so kann man sich täuschen!!!

Der Sand war nur eines: tief ! Die Strecke kurvig und mit aufgeschobenen Sandhügeln garniert. Es war den meisten Fahrern nicht möglich, das Motorrad richtig in Schwung zu bekommen, so dass die Aufgabe mehr darin bestand, die schlingernde Maschine irgendwie in die richtige Richtung zu befördern. Spätestens nach einer Runde war die Kraft aufgebraucht und Lothar soll unter seinem Helm gebrüllt haben: „Schalber, du Sau, ich bring dich um.“

Hat er aber nicht. Stattdessen traf er sich mit Kai eine halbe Runde später am Pistenrand zu einer Beratung, die mit dem Ergebnis endete, lieber jetzt auf ein Bier in die nächste Bar zu gehen und dafür morgen, wenn auch mit Strafzeit belegt, wieder mitzufahren.

Etwa die Hälfte der Teilnehmer gab vorzeitig auf. Steffe und Wolfram schafften mit den BMWs die fünf Runden, während Hermann anscheinend so begeistert war, dass er mit der Yamaha gleich sechs Runden fuhr. Er hatte sich verzählt!

Heidi von der Organisation hatte uns vorgewarnt, dass man bei der Anstrengung nicht in der Lage wäre auf drei zu zählen. Der Tipp mit den fünf Bändeln am Lenker, um bei jeder Zieldurchfahrt einen abzureißen, funktioniert aber auch nur, wenn man in der Hektik bei der ersten Runde nicht gleich alle abreißt! So geschehen bei Florian Schalber, dem Sohn des Veranstalters. Aber der Vater hatte ja sicherheitshalber mitgezählt und winkte den Filius heraus – nach 4 Runden !!

Am Abend sah man dann doch einige fragende Gesichter. War die Veranstaltung vielleicht doch nichts für Zweizylinder-Motorräder? Aber die Ausfallquote bei den Einzylindern war genauso groß. Oder waren wir vielleicht doch schon zu alt?...Aber nie im Leben !!!

Also freuten wir uns auf den nächsten Tag !

Dieser begann vielversprechend. Bei herrlichem Sonnenschein erwies sich das angekündigte Flussbett als abwechslungsreiche Endurostrecke. Die Problempassagen waren auch mit den Dickschiffen zu bewältigen, nur der Zeitaufwand war für diese Motorräder naturgemäß größer, so dass die Zeit etwas knapp erschien. Somit war das Motto für den Rest des Tages klar: Gas was geht und gepinkelt wird erst wieder morgen!

Erfreulicherweise wurde die Strecke von Kilometer zu Kilometer schöner. Kurvige Waldwege, gerade und ebene Schotterstraßen und nur unterbrochen von kurzen Steilauffahrten, die aber gerade für die BMWs  mit ihrem guten Drehmoment kein Problem darstellten.

Wie wir überhaupt feststellen mussten, bereitete das Fahren der Dickschiffe viel weniger Probleme als erwartet. Natürlich konnte man speziell im schweren Gelände nicht so schnell fahren, aber dafür reagieren die schweren Brocken auch nicht so hektisch. Der Stress ist somit auf bestimmten Passagen sogar geringer, wie uns die „Abtrünnigen“ bestätigten. Nur stecken bleiben sollte man tunlichst nicht, sonst lachen sie wieder, die „Mofafahrer“, wenn sie ihr Gerät einfach wegtragen, während wir auf den Bergekran warten.

Zur Abwechslung kam noch eine kurze Sonderprüfung auf einem Moto-Cross-Gelände dazu und weiter ging’s über schnelle Waldwege und immer wieder durch kleine Flüsse. Mal waren die Wasserdurchfahrten breit und flach, mal kurz und tief, aber wenn man sich die Zeit nahm, genau zu schauen, gab’s keine Probleme. Und wenn nicht, gab’s was zum Lachen für die Zuschauer, die der Veranstalter genau an diese Orte geschickt hatte.

Das Ziel dieses Tages befand sich auf dem Dorfplatz von Aras Rural und die Einheimischen bestaunten die staubigen Gesellen, die da angeknattert kamen. Gastfreundlich, wie die Spanier nun mal sind, boten sie den Teilnehmern Tapas zum Essen und Rioja zum Trinken. Und wir, höflich wie wir nun mal sind, nahmen vor allem den Wein dankend an. Dessen Wirkung auf einen von acht Stunden Geländefahren ausgelaugten Körper möchte ich aber lieber nicht beschreiben.

In Aras Rural  entsteht zur Zeit eine Ferienanlage mit Campingplatz, Hotel und 24 Blockhäusern aus dem Allgäu! In diesem Gelände blieb der Rallye-Tross bis zum Ende der Veranstaltung. Jeden Tag eine andere Schleife von 240 bis 320 km. Start und Ziel jeweils im Camp. Die Fahrstrecken waren unheimlich abwechslungsreich und sehr gut zu fahren. Superschnelle Schotterstrecken auf hügeligen Hochebenen, Waldwege mit steilen Auf- und Abfahrten, tiefe Schluchten mit steilen Felswänden und dazwischen immer wieder kurze Trialpassagen, die zwar teilweise recht schwer waren aber dennoch nie ein ernsthaftes Problem darstellten, weil der Veranstalter an jeder gefährlichen Stelle eigene Leute postiert hatte, die den Fahrern den optimalen Weg zeigten und ggf. auch mithalfen eine „Gummikuh“ über einen Felsabsatz zu wuchten.

Auch die Fahrer pflegten untereinander einen freundschaftlichen und hilfsbereiten Ton. Speziell Lothar mit seinem 43 Liter Tank musste mehrmals mit Sprit aushelfen, wenn ein anderer Teilnehmer oder auch mal der Veranstalter ohne Benzin liegengeblieben war. Es geht das Gerücht, er hätte sich inzwischen bei Shell als Tankwagenfahrer beworben.

Wolfram dagegen leistete auf einer langen Roadbook-Sonderprüfung Hilfe der unfreiwilligen Art. Nachdem er einen an sich sehr schnellen Engländer auf  KTM überholen konnte (worauf er zuerst richtig stolz war), tippte ihm dieser nach der Zieldurchfahrt auf die Schulter. Wolfram zog schon mal in Erwartung einiger unfreundlicher Worte den Kopf ein, doch der Engländer grinste breit und meinte nur: „It was nice to follow you!“ Er hatte komplett die Orientierung verloren und war froh gewesen, jemanden gefunden zu haben, hinter dem er bis zum Ziel herfahren konnte.

Stefan und Anton wunderten sich dagegen, als statt der zwei Holländer, die gerade noch vor ihnen fuhren, plötzlich nur noch einer da war. Nach kurzer Suche fanden sie den zweiten fünf Meter unterhalb der Straße zwar auf dem Sattel seines Motorrades, aber unter einem Dornenbusch liegend wieder. Mann und Maschine waren schnell geborgen. Ob er sich inzwischen auch alle Stacheln aus seinem Hintern gezogen hat, wissen wir nicht.

Die Streckenführung war insgesamt anspruchsvoll, aber machbar – selbst für BMWs. Trotzdem war es auch für die Sport-Enduros alles andere als eine Spazierfahrt, zumal die Roadbook-Sonderprüfungen von bis zu 50 km Länge den richtigen Kompromiss zwischen Vollgas und sicherem Orientieren verlangten, was nicht immer allen gelang – wie bereits beschrieben.

Und für’s Ergebnis sind manchmal auch noch ganz andere Dinge ausschlaggebend.   Meint Hermann.

Als er und Wolfram auf einer Verbindungsetappe gerade neben ihren Maschinen standen um den Rotwein vom Vorabend loszuwerden, kam der Führende in der Gesamtwertung vorbei, stellte sich kurzerhand dazu und war schon wieder weg als die beiden endlich fertig waren. Worauf Hermann meinte: “Siehsch Wolfram, des macht Sieger aus! Die fahret it bloß schneller als mir, die pinklet au schneller!“

Das Thema Ein- oder Zweizylinder bietet natürlich auch immer Stoff für gegenseitige Sticheleien. So pflegen Sepp (KTM) und Lothar (BMW), beide mit reichlich Körperfülle gesegnet, seit jeher den verbalen Schlagabtausch. Diesmal siegte Sepp. Auf seine Klage, der dicke Lothar auf seiner fetten BMW - oder war es umgekehrt? -  sei ihm im Wege gestanden, antwortete der: „Du hättest mich ja nur überholen müssen.“ Worauf Sepp erwiderte: „Ich konnte doch nicht um Dich herum fahren, dazu hätte mir das Benzin nicht gereicht!“

Spätestens nächsten April werden sich deshalb wohl viele der Teilnehmer wieder in Spanien treffen. Und sicher von ihren großen Taten erzählen. Falls ihnen ihre Frauen und Freundinnen nicht ganz was anderes erzählt haben.

Wolfram Martin